Im Schlepptau dieses verzweifelten Blicks auf die Welt befindet sich meist ein weiterer jahrhundertealter Gemeinplatz – das Lob der alten Welt.
Ja, man kann an dieser Welt zu verzweifeln und sich nach einer besseren sehnen? Das Gute im Menschen? Wo soll das denn, bitte schön, sein? Beweist der Mensch nicht jeden Tag aufs Neue, dass er in seiner Kreatürlichkeit gefangen ist, dass er zu Dingen imstande ist, die weit über das hinausgehen, was wir gerne als das Tier in uns bezeichnen? Tiere laufen aber nicht bis an die Zähne bewaffnet in ihre ehemalige Schule und bringen unschuldige Menschen um, Tiere halten ihre eigene Tochter nicht 24 Jahre gefangen, vergewaltigen sie und lassen sie und die gezeugten Kinder ohne Tageslicht dahinvegetieren, Tiere sind dazu nicht in der Lage, der Mensch schon.Menschen erfinden die wahnwitzigsten Produkte, um Millionen zu scheffeln und wenn zu diesem Zweck „die Oma um die Ecke mit ihrer gesamten Ersparnis hopsgeht, dann ist das halt so!“, wie eine Investmentbankerin das Berufsethos ihrer ehemaligen Kaste kurz und prägnant auf den Punkt brachte. Was soll man denn von einer Spezies erwarten, deren Mitglieder eine Vergewaltigung in einem vollen U-Bahn-Waggon geschehen lassen, ohne einzugreifen? In der quer durch alle Gesellschaftsschichten Kinderpornografie konsumiert wird? Deren Mütter mit ihren halb nackten 18 Monate alten Kindern bei zehn Grad durch die Innenstadt radeln und, nachdem sie von der Polizei zur Rechenschaft gezogen werden, antworten, die eigene Tochter sei ein selbstbestimmtes Wesen und habe sich nicht anziehen wollen?
Worin besteht denn die Hoffnung in einer Welt, in der selbst ernannte oder von Gott eingesetzte moralische Gralshüter sich in hässlicher Regelmäßigkeit den Vorwurf des Kindesmissbrauchs gefallen lassen müssen und sich durch das Verbot von Kondomen am Tod von Millionen unschuldiger Menschen mitschuldig machen? In der immer noch Millionen von Menschen Hunger leiden, Kriegen ausgesetzt sind und als Sklaven gehalten werden? Und da soll man nicht verzweifeln? Was verändert sich da, bitte schön, zum Guten? Wenn fast alle Länder dieser Erde Mitglieder der UNO sind und die Allgemeine Erklärung für Menschenrechte unterzeichnet haben, die sie doch jeden Tag mit Füßen treten!Und nun? Kopf in den Sand, Klappe zu, Affe tot? Ab in die Zeitmaschine auf dem Weg in eine glorreiche Vergangenheit? Oder doch einen zweiten verstohlenen Blick auf das geworfen, was eben auch da draußen ist, was eben auch damals war?
Lieber mit einer Brille durch die Gegend laufen, mit der man die rosaroten Farbkleckse in unserer Welt noch sieht, als mit einer, in der die Gegenwart tiefschwarz und die Vergangenheit rosarot erscheinen. Wer sollte einem verbieten, an rosarote Farbkleckse auch zu glauben? Höchstens jene, die gestern noch eine unblutige Revolution in der ehemaligen DDR, den Niedergang der amerikanischen Autoindustrie, einen schwarzen Präsidenten, Biolebensmittel bei Aldi, einen griechischen Fußball-Europameister oder den Zusammenbruch der internationalen Finanzmärkte für unmöglich hielten.